Wien, 27.4.2012, derstandard.at
Gleich zweimal saß der Abt des Zisterzienserklosters Mehrerau, Anselm van der Linde, am Donnerstag vor Gericht. Zwei Opfer sexueller Gewalt fordern vom Kloster zivilrechtlich Schadenersatz
Feldkirch – Eines hatten die Kläger und der Abt beim Zivilrechtsprozess Missbrauchsopfer kontra Kloster Mehrerau gemeinsam: Alle drei Männer waren angespannt, die Situation war ihnen sichtlich unangenehm. Das war es dann aber auch schon: „Kein Vergleich, wir bleiben bei unserer Haltung“, stellte der Anwalt des Klosters, Bertram Grass, klar. Schadenersatzforderungen, im ersten Fall 200.000 Euro, im zweiten 135. 000 Euro, werden wegen Verjährung abgelehnt. Die Opfer sollten sich an die Klasnic-Kommission wenden.
Zwei ehemalige Schüler, beide geben an, von Pater Johannes, ihrem Lehrer und Erzieher, über Jahre missbraucht worden zu sein, klagten das Kloster unabhängig voneinander. Der Einfachheit halber wurde hintereinander verhandelt.
Das erste Verfahren strengte ein 58-Jähriger an. In seinem Fall muss nun das Gericht klären, wann die Verjährungsfrist beginnt. Mit dem Tatzeitraum oder, wie der Betroffene meint, ab dem Zeitpunkt, als ihm der Schaden bewusst wurde. Und das war nach einem Fernsehbericht über Missbrauchsfälle in der Mehrerau 2010. „Warum nicht früher?“, will Richterin Birgit Vetter wissen. „Über all die Jahre hat der Teil in mir, der dafür verantwortlich ist, dass ich überhaupt noch lebe, das Geschehen in die Tiefe gelegt“, sagt der Kläger. „Sie haben das Ganze verdrängt?“, übersetzt die Richterin. Der Mann weint.
Unerwartet verkündet Anwalt Grass einen Gesinnungswandel: Er ziehe die Außerstreitstellung zurück, der Kläger sei nicht glaubwürdig. Bisher hatte das Kloster die sexuellen Übergriffe nicht bestritten, sich aber gegen die Haftung gewehrt. Der Kläger reagiert mit einer Schimpftirade. Die Richterin vertagt, zur Frage der Traumatisierung und Verdrängung wird ein psychologisches Gutachten eingeholt.
Schweigen im Kloster
Im Vergleich zum ersten Kläger wird der zweite vom Klosteranwalt mit Respekt behandelt. Der 46-jährige Mann war als Schüler vom selben Pater sexuell misshandelt worden. Die Intervention seiner Eltern führte 1982 zur Versetzung des Priesters und zur kurzfristigen Suspension.
Die Befragung des Abtes zeigte augenscheinlich, wie von seinen Vorgängern Gewalttaten des Paters vertuscht wurden. Weder eine rechtskräftige Verurteilung aus 1967 noch die Tat oder Suspension 1982 seien im Personalakt, den einzig der Abt führe, vermerkt, sagte van der Linde. Ihm, der seit 1994 im Kloster und seit 2010 Abt sei, waren Gerüchte über den Priester nicht bekannt.
Zur nächsten Tagsatzung wird Altabt Kassian Lauterer geladen. Für das Gericht gilt es die Haftungsfrage zu klären, herauszufinden, wer die Verantwortung trägt. Aussagen soll auch der beschuldigte Priester. Vorausgesetzt, die Ladung kann ihm zugestellt werden. Van der Linde: „Er ist schwer depressiv und suizidgefährdet, er hat mich gebeten, seinen