derstandard.at, 8.6.2012
Italiens Justizbehörden erwägen, den Ende Mai gefeuerten Ettore Tedeschi unter Polizeischutz zu stellen
Der am 24. Mai gefeuerte Chef der Vatikanbank IOR, Ettore Gotti Tedeschi, bangt um sein Leben. Den römischen Staatsanwälten, die ihn am Mittwoch wegen Verdachts auf Missachtung von Anti-Geldwäsche-Gesetzen vernommen haben, berichtete er, dass er fürchte, getötet zu werden. Laut der Turiner Tageszeitung „La Stampa“ sei Gotti Tedeschis Leben gefährdet, weil er Transparenz in der Vatikanbank IOR und die Anpassung an die internationalen Gesetze zur Bekämpfung der Geldwäsche durchsetzen wollte.
Gotti Tedeschi vermutete außerdem, dass Inhaber einiger anonymen IOR-Konten hochrangige Mitglieder der Mafia seien, so das Blatt. Die italienischen Justizbehörden überlegen, Gotti Tedeschi unter Polizeischutz zu stellen, berichtete die römische Tageszeitung „La Repubblica“.
Gotti Tedeschi habe seiner Sekretärin ein Dossier mit wichtigen Informationen über seine Arbeit im IOR anvertraut und ihr drei Adressen von Personen gegeben, denen sie die Dokumente weitergeben solle, falls ihm etwas zustoßen sollte, berichtete „La Stampa“ am Freitag. Die drei Personen seien ein Journalist, ein Rechtsanwalt und ein Freund des Bankers. Eine weitere Kopie des Dossiers für den Papst soll Gotti Tedeschi Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein anvertraut haben.
Privataudienz beim Papst
Wenige Tage vor seiner Entlassung hatte Gotti Tedeschi um eine Privataudienz beim Heiligen Vater gebeten, das Treffen kam jedoch nicht zustande. Per Mail hatte Gotti Tedeschi Gänswein öfters über einen Konflikt zwischen ihm und dem IOR-Generaldirektor, Paolo Cipriani, berichtet. Dabei ging es um die Anti-Geldwäsche-Gesetze.
Anlass für die Befragung des Bankers am Mittwoch waren offenbar neue Dokumente, die im Zuge einer staatsanwaltschaftlichen Durchsuchung von Wohn- und Büroräumen Gotti Tedeschis in Piacenza und Mailand am Dienstag sichergestellt wurden. Die Durchsuchungen selbst standen im Zusammenhang mit Ermittlungen in einem internationalen Korruptionsskandal. In dessen Mittelpunkt steht das italienische Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen Finmeccanica. Mit Gotti Tedeschis Tätigkeit für den IOR hatten die Durchsuchungen laut der im Korruptionsskandal ermittelnden Staatsanwaltschaft Neapel nichts zu tun. Gotti Tedeschi selbst zählt nach ihren Angaben nicht zum Kreis der Verdächtigen in dem Korruptionsskandal.
Ermittlungen seit 2010
Auch Vatikansprecher Federico Lombardi hatte am Mittwoch gesagt, dass es keine Verbindung zwischen dem Misstrauensvotum gegen Gotti Tedeschi und den Durchsuchungen gebe. Die Staatsanwaltschaft Rom ermittelt seit September 2010 gegen Gotti Tedeschi und die Vatikanbank IOR wegen des Verdachts auf Verstoß gegen europäische Anti-Geldwäsche-Vorschriften. Sie hatte im September 2010 vorübergehend 23 Millionen Euro auf einem Konto des IOR bei einer italienischen Bank wegen unklarer Herkunft und Bestimmung des Geldes vorübergehend gesperrt.