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Initiative gegen Kirchen-Privilegien
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Das Schandurteil von Leoben

Foto: Bezirksgericht Leoben

Foto: Bezirksgericht Leoben

Ein Richter am Landesgericht Leoben hat die Klage eines ehemaligen Schülers des Stiftsgymnasiums Admont abgewiesen. Der war als Kind nach eigenen Angaben schwer misshandelt und vergewaltigt worden. Das Stift sei nicht verantwortlich, befindet der Richter, sondern der Staat.

Trüge der Schriftsatz nicht die Unterschrift eines Leobener Richters, man könnte beinahe meinen, er stammte aus der Feder des Anwalts des Stiftes Admont. Die mehr als eigenwillige Rechtsauffassung findet sich 1:1 in dem richterlichen Beschluss wieder, den der Richter „im Namen der Republik“ gefällt hat. Mit dem er die Klagen eines ehemaligen Internatsschülers abschmettert, der angibt, dass ihn Lehrer im Internat des Stiftsgymnasiums geschlagen und vergewaltigt hätten.

„Handelnde Organe des Bundes“

Wenn überhaupt jemand Schmerzensgeld für die erlittenen Torturen leisten müsste, sei es die Republik Österreich, befindet der Richter knapp und mit der gleichen Begründung wie der Anwalt des Stifts. Das Stiftgymnasium habe das Öffentlichkeitsrecht besessen, schreibt er in der Begründung, „sodass der Zweit- und Drittbeklagte als handelnde Organe des Bundes in Vollziehung der Gesetze tätig geworden sind“.

Öffentlichkeitsrecht mit öffentlicher Schule verwechselt?

Was den Richter zu dem Schluss verleitet: „Gemäß § 1 Abs 1 Amtshaftungsgesetz haften der Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinde, sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Träger der Sozialversicherung nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben; dem Geschädigten haftet das Organ nicht.“

Das ist eine – höflich formuliert – kühne These, die Themen zusammenbringt, die nichts miteinander zu tun haben. Jeder halbwegs Kundige kann sich des Eindrucks nicht erwehren, der Richter verwechselt hier „öffentliche Schule“ mit einer „Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht“. Das ist die denkbar höflichste Erklärung für die geradezu groteske Begründung, mit der die Klage abgewiesen wird.

Eine öffentliche Schule ist eine öffentliche Schule und gehört einem öffentlichen Träger. Das sind der Bund oder – theoretisch – die Gemeinden. Sie hat einen Schulsprengel. Alle Kinder, die im Schulsprengels eines, sagen wir, öffentlichen Gymnasiums wohnen, müssen dort hingehen, wenn sie ein Gymnasium besuchen wollen. Wollen sie in ein anderes Gymnasium, müssen sie das der Schulbehörde bekannt geben.

Eine Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht ist einer öffentlichen Schule nicht gleichgestellt. Sie hat nur das Recht, Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse und Abschlüsse auszustellen, die den gleichen Stellenwert haben wie die einer öffentlichen Schule. Eine Privatschule bleibt sie trotzdem.

Beachtliches Maß an Kreativität – oder Ignoranz

Es liegt im Wesen jeder Privatschule, gerade nicht einer direkten öffentlichen Verwaltung zu unterliegen sondern ihr eigenes Süppchen kochen zu dürfen. Konfessionelle Privatschulen dürfen bei Lehrern religiös diskriminieren und nebenbei die Religionsfreiheit der Schüler ignorieren – die man sich übrigens freihändig aussuchen darf, was keine öffentliche Schule tun darf.

Eine Privatschule ist auch nicht Teil eines Schulsprengels. Sie ist – wenn auch wie in diesem Fall geförderte – Parallelstruktur und zu keinem Zeitpunkt Teil des öffentlichen Schulwesens.

Es gibt selbstredend eine, wenn auch lose, staatliche Aufsicht. Nur liegt die Letztverantwortung beim Schulbetreiber. Die aktuelle Fassung des Privatschulgesetzes nennt sogar Geldstrafen, die Privatschulbetreiber bezahlen müssen, wenn sie gegen Vorschriften verstoßen. Im schlimmsten Fall kann die Schule geschlossen werden. Es ist schwer vorstellbar, dass das in den 60-ern fundamental anders geregelt war. Und wenn – der Richter bleibt jeden Beleg für diese These schuldig.

Es bedarf eines beachtlichen Maßes an Kreativität, um das zu einer „Vollziehung der Gesetze“ umzuinterpretieren. Oder eines erschreckenden Maßes an Ignoranz.

Belege bleibt der Richter schuldig

Zumal der Richter diese gewagte These mit keinem einzigen Argument untermauert. Im gesamten Urteil erwähnt er kein einziges Mal das Konkordat von 1933, das Schulkonkordat von 1961 oder ein Privatschulgesetz, das in den 60-ern galt. Schlechterdings die einzigen Gesetze und Vorschriften, die regeln können, ob Privatschullehrer „handelnde Organe des Bundes in Vollziehung der Gesetze“ waren oder nicht.

Argument Öffentlichkeitsrecht mutet an wie Ablenkungsmanöver

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, der Richter hat sich mit diesen aus seiner Sicht offenbar unwichtigen Details gar nicht erst auseinandergesetzt. Ob das daran liegt, dass der Anwalt des Stifts, der auch zwei ebenfalls beklagte Mönche vertritt, in seiner Stellungnahme ebenfalls mit keiner Zeile auf diese rechtlichen Rahmenbedingungen eingeht?

Stattdessen lässt sich der Richter beinahe eine halbe Seite darüber aus, ob das Stiftsgymnasium Admont Öffentlichkeitsrecht besessen habe oder nicht. Was seine Kompetenz in dieser Frage nicht gerade unterstreicht. Jedem halbwegs Sachkundigen war von vornherein klar, dass das der Fall war. Konfessionelle Privatschulen haben in Österreich immer und automatisch Öffentlichkeitsrecht. Ob sie jemand braucht oder nicht. Das ganze mutet an wie ein Ablenkungsmanöver.

Landesgericht Leoben widerspricht Landesgericht Feldkirch

Die eigenwillige Rechtsmeinung des Richters widerspricht auch der aktuellen Judikatur. Im Jänner hat das Landesgericht Feldkirch die Klage zweier ehemaliger Schüler des Stiftsgymnasiums Mehrerau gegen das Stift zugelassen. Sie waren von Lehrern misshandelt und vergewaltigt worden.

Die Klage hat dazu geführt, dass das Stift in einem juristischen Vergleich mehrere hunderttausend Euro Schmerzensgeld an die Schüler bezahlt hat. Auch diese Schule besaß das Öffentlichkeitsrecht. Für die Vorarlberger Richter kein Grund, die Verantwortung vom privaten Schulbetreiber auf die Allgemeinheit überzuwälzen. Wenn an den Vorwürfen etwas dran war und jemand Schadenersatz zahlen musste, befanden sie prinzipiell, war es das Stift als Betreiber.

Abgesehen davon spielten sich die mutmaßlichen Übergriffe von Admont im Internat des Stifts ab. Das hat kein Öffentlichkeitsrecht.

Amtshaftung gilt so pauschal nicht

Auch die Behauptung „dem Geschädigten haftet das Organ nicht“ ist in dieser pauschalen Form blanker Unsinn. Wenn auf einem Schulausflug ein minderjähriger Schüler eine minderjährige Schülerin schwängert, muss der Lehrer, der die Aufsicht hatte, die Alimente bezahlen. Nicht das Unterrichtsministerium. Das Organ haftet der Geschädigten.

Amtshaftung wird nur unter bestimmten Bedingungen schlagend.

Heikle Causa vom Schreibtisch bringen?

Es mag vieles gewesen sein, das dazu geführt hat, dass ein Richter augenscheinlich ohne nähere Recherchen die Stellungnahme eines Parteienvertreters zusammenfasst und mit Bundesadler und Unterschrift als gerichtliche Entscheidung deklariert. Der Wunsch, eine heikle Causa möglichst schnell vom Schreibtisch zu haben, sie sozusagen nach oben zu delegieren, vielleicht?

Alle haben sich eine ordentliche Entscheidung verdient

Egal, was es war – am Ende steht ein Schandurteil. Es erscheint zweifelhaft, dass es gründlicher arbeitenden Richtern in oberen Instanzen stand hält. Das ist gut so.

Hier geht es um Recht. Hier geht es um Menschen. Nicht nur um den Kläger, der offenbar als Kind vergewaltigt und misshandelt wurde.

Es geht auch die Patres und das Stift, die alle einen zivilrechtlichen Persilschein bekommen haben, der – höflich formuliert – mehr als eigenwillig ist. Um weitere Betroffene, denen als Kind in anderen Stiftgymnasien das gleiche widerfahren ist, wie offenbar dem Kläger in diesem Verfahren. Und nicht zuletzt die Republik, die ein fragwürdiger Richterentscheid für etwas haftbar machen soll, das andere – mutmaßlich – verbrochen haben.

Sie alle haben sich verdient, dass dieser Fall gründlich und sauber behandelt wird. Dass eine Entscheidung herauskommt, die eines Rechtstaates würdig ist. Diese hier ist es nicht.

Christoph Baumgarten

Das hier verlinkte Dokument ist eine wortgetreue Kopie des Urteils. Die Namen des mutmaßlichen Opfers und seiner mutmaßlichen Peiniger wurden unkenntlich gemacht. Das Original liegt der Redaktion vor.

 

Der Artikel erschien beim Humanistischen Pressedienst