mein.salzburg.com, 18.7.2012
Von Viktor Hermann
Man hätte es nicht glauben wollen. Da entsteht doch tatsächlich in Österreich gerade eine heiße Debatte darüber, welches Menschenrecht schwerer wiegt: Das der körperlichen Unversehrtheit oder das der Religionsfreiheit.
Zugegeben, es hat einige Zeit gedauert, bis die Diskussion aus Deutschland zu uns herübergeschwappt ist. Dort hatte schon vor Wochen ein Kölner Gericht festgestellt, einem minderjährigen Buben, der schon wegen seines Alters eine solche Entscheidung nicht aus freiem Willen treffen könne, ein Stück der Penisvorhaut abzuschneiden, sei Körperverletzung und deshalb strafbar.
Religionsführer schrien lauthals „religiöse Diskriminierung“, Politiker bis hin zur deutschen Kanzlerin gingen sofort in die Knie. Statt das Zerschnipseln von kleinkindlichen Körperteilen zu unterbinden, will man nun die Gesetzeslage so sanieren, dass die Beschneidung künftig gesichert straffrei ist.
Betroffen sind zwei der drei großen Glaubensgemeinschaften, die sich in ihren Wurzeln auf das Alte Testament stützen. Obwohl die Christen also von dem Richterspruch nicht berührt sind, eilten katholische und evangelische Bischöfe den Moslems und Juden zu Hilfe und verteidigten diesen archaischen Brauch,
Kein Wunder, geht es hier doch um weit mehr als um die Entscheidungsfreiheit kleiner Kinder und ein Stückchen Haut. Die Richter in Köln haben festgehalten, dass religiöse Traditionen und Religionsausübung nicht, wie Rabbiner, Mullahs und Bischöfe zu glauben scheinen, absolut und unantastbar höher zu werten seien als alle anderen Rechte. Die Religionsgemeinschaften gründen diesen Anspruch auf die direkten Aufträge und Regeln, die von einem Gott erhalten zu haben sie behaupten.
Nun stellen sich sowohl in Deutschland wie auch in Österreich Mediziner, Betroffene und säkulare Skeptiker gleichermaßen gegen diesen religiösen Brauch. Medizinisch bringt der Eingriff nichts, psychisch kann er furchtbare Traumata verursachen.
Bleibt also seine Bedeutung für die religiöse Identität, den „Bund“ mit einer Gottheit. Nun, andere Glaubensrichtungen beweisen seit langem, dass religiöse Zugehörigkeit nicht an einem Stück abgeschnittener Haut hängen kann, und einen Bund mit transzendenten Einheiten sollte doch jemand schließen, der sich dazu aus freien Stücken entscheiden kann und nicht ein Säugling. Und was, wenn nun einer, dem als Kleinkind die unverbrüchliche Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe aufgezwungen wurde, diesen Bund wieder auflösen möchte? Das Zeichen dieser Gewalttat bleibt ihm erhalten, bis ans Ende seines Lebens.