Ö1, 17.7.2012
Religiös motivierte Beschneidungen von Buben sorgen in Deutschland seit Tagen für erbitterte Diskussionen. Laut Gerichtsurteil sind diese Beschneidungen strafbare Körperverletzungen, das sorgt für einen Proteststurm unter Muslimen und Juden. In Österreich vertritt die Initiative gegen Kirchenprivilegien dieselbe Ansicht. Auch sie sieht medizinisch nicht notwendige Beschneidungen als Körperverletzung.
Jugendliche sollen selbst entscheiden
Cahit Kaya ist im Volksschulalter beschnitten worden, in einem Krankenhaus in Vorarlberg, erzählt er heute. Hilflos und ausgeliefert habe er sich gefühlt, von der Operation habe er zwar nichts mitbekommen, aber das davor und danach sei belastend gewesen. Zum Teil habe er deswegen heute noch Schlafprobleme.
Religiöse Bräuche müssten sich den Menschenrechten unterordnen – diese Ansicht vertritt die Initiative gegen Kirchenprivilegien. Jeder, der das will, könne sich beschneiden lassen, sagt Niko Alm. Er schlägt aber vor, den Eingriff zu verschieben, damit die Jugendlichen selbst zustimmen können.
Strafbare Handlung
Die nicht medizinisch notwendige Beschneidung sei Körperverletzung, so Niko Alm, und das sieht auch die von der Initiative hinzugezogene Rechtsanwältin Eva Plaz so. Das Zufügen einer Wunde sei eine Körperverletzung im Sinn des Paragrafen 83 und folgende des Strafgesetzbuches und damit an sich strafbar. Die Ausnahme: wenn jemand, der einwilligungsfähig ist, in die Beschneidung einwilligt. Und, so die Anwältin weiter: Jeder, der eine Beschneidung von Buben durchführt oder unterstützt, müsse mit einem Strafverfahren rechnen: „Das heißt, wenn ich heute eine leichte Körperverletzung annehme und eine dreijährige Verjährungsfrist, dass Beschneidungen heute potenziell bis zum 31. Geburtstag dieses Kindes ein Strafverfahren nach sich ziehen können.“
Auch Vorteile?
Medizinisch sei die Problematik vielfältig, sagt Urologe Pavel Konecny, der einerseits von Genitalverstümmelung spricht, weil beschnittene Männer von vielen Problemen berichten, aber es könne auch Vorteile geben. So gelte eine geringere HIV-Übertragungsrate in Gebieten südlich der Sahara als gesichert. Es sei nur die Frage, wie man die Daten aus Kenia, Uganda und Südafrika auf die europäische Bevölkerung übertragen könne.
Eine Klage sei derzeit nicht in Vorbereitung, sagt Anwältin Eva Plaz, früher oder später werde es aber sicher Klagen geben. Letztlich werde die Frage wohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entscheiden.